Die Übergabe des eigenen Familienunternehmens ist eine der größten Herausforderungen im Leben eines Unternehmers. Und obwohl prinzipiell die meisten den Anspruch haben, diese Übergabe bestmöglich zu meistern, merken wir in der Praxis immer wieder eine Reihe von Stolperfallen.
Um seinen „Ausstieg“ aus dem Unternehmertum nicht nur formal, sondern auch emotional zu bewerkstelligen, also um richtig „loszulassen“, ist es wichtig und sinnvoll sich frühzeitig auf den Übergang vorzubereiten. In der Praxis kommt hier meistens zuerst die Frage, wann der richtige Zeitpunkt für eine Übergabe sei. Damit aber nicht nur die Übergabe, sondern auch wirklich das „Loslassen“ funktioniert, sind es eine Vielzahl weiterer Fragen, die man sich stellen und beantworten sollte.
Gedanken der potenziellen Übergeber
Die erste Frage ist vermeintlich banal, aber entscheidend für alle weiteren Überlegungen: Wenn ich morgen übergebe, kann ich dann meinen Lebensabend so genießen wie ich mir das vorstelle, muss ich Abstriche machen oder bin ich sogar auf Zahlungen meiner Nachfolger angewiesen? So wie wir auf Unternehmensebene „(Banken-) Unabhängigkeit“ fordern, so braucht es auf privater Ebene ebenso „finanzielle Unabhängigkeit“ – auch wenn es vielen unangenehm ist, darüber zu sprechen.
Wenn der Lebensunterhalt gesichert ist, stellt sich eine weitere entscheidende Frage: Warum will ich überhaupt aufhören? Möchte ich aufhören, weil ich auf ein erfülltes Berufsleben zurückblicke und nun aber bewusst in einen neuen Lebensabschnitt möchte oder weil ich mir persönlich wünsche, dass meine Nachfolger in meine Fußstapfen treten?
Oder muss ich aufhören, weil ich mich körperlich/mental nicht mehr in der Lage sehe, oder fühle ich mich sogar gedrängt, den Stuhl frei zu machen? Wenn Letzteres der Fall ist, dann muss ein Übergeber auf jeden Fall ein für sich attraktives Zielbild entwickeln, um sich selbst den Übergang „schmackhaft“ zu machen.
Wenn dies geklärt ist, dann kann man das „Wann“ festlegen. Mir fällt auf, dass viele auf der Suche nach einem guten Zeitpunkt für die Übergabe gesellschaftlich anerkannte Zahlen zitieren: mit 65, mit Beginn des Rentenalters etc. Besser wäre jedoch zu überlegen, was bis zum Zeitpunkt des Loslassens alles passieren muss, damit ich guten Gefühls übergeben kann und wie lange ich dafür brauche. Dies kann genauso mit 61 wie 68 Jahren sein.
Denn wenn ich mir den Zielzustand überlege – Wie müsste eine perfekte Übergabe des Staffelstabs aussehen, was muss ich (bis dahin) noch machen, dass es so passiert und wie sieht mein Leben nach der Übergabe aus? –, dann merke ich, dass ich mir in den meisten Fällen frühzeitig (>7 Jahre) Gedanken machen und dann auch die Weichen stellen muss. Habe ich eine Vorstellung wie mein Alltag dann aussieht bzw. wofür ich die freiwerdende Zeit verwende? Habe ich weiterhin Pläne und Ideen, die mich motivieren und inspirieren – so wie es mein Beruf jahrzehntelang getan hat?
Veränderung – im Unternehmen wie privat – führt immer dann zu Sorgen oder Ablehnung, wenn ich befürchte, dass das „Neue“ schlechter für mich ist. Insofern muss es gelingen, die Zeit nach der Übergabe so zu gestalten, dass es nicht als Rückschritt empfunden wird. Bei vielen Unternehmern ist es die Möglichkeit für ausgedehnte Reisen, bei anderen sind es private Projekte. Nicht alle brauchen das – aber wenn Sie dazu gehören, dann sollten Sie hierzu eine klare Vorstellung haben.
Bei aller Theorie und Vorbereitung ist es dennoch für viele Übergeber schwer, diesen Schritt zu gehen, selbst wenn sie sich ganz bewusst dafür entschieden haben.
Unterstützung durch die Nachfolger
Entscheidend für jede Unterstützung ist das Anerkennen und Zugestehen, dass Loslassen schwierig ist. Nur wenn man etwaige Sorgen und Befürchtungen ernst nimmt kann man gemeinsam Lösungen finden. Das Unternehmen ist häufig das „Baby“ des Unternehmers – und folglich sollten die Nachfolger den Übergebern zeigen, dass es bei ihnen in guten Händen ist. Durch entsprechenden Arbeitseinsatz, aber auch durch das gemeinsame Entwickeln von Strategien für die Zukunft des Unternehmens. Dies schafft Transparenz und Akzeptanz.
Ein weiterer hilfreicher Schritt ist die Einbeziehung des Übergebers über die Übergabe hinaus. Dies natürlich nur, wenn der Übergeber das überhaupt möchte und er im Gegenzug in der Lage ist, seine eigenen Interessen und sein Ego so zurückzuhalten, dass die Nachfolger auch wirklich übernehmen können. Dann kann das Einbinden in strategische Fragen als Ratgeber oder die Teilnahme an offiziellen Events wie Firmenmessen oder Weihnachtsfeiern einen „harten Schnitt“ vermeiden.
Vielen Übergebern fällt das Loslassen jedoch gar nicht so schwer, wie häufig kolportiert wird. Es gibt ihn zwar noch, den vielzitierten und gefürchteten Patriarchen, der auch mit 90 noch täglich ins Büro kommt. Dieser ist aber schon lange nicht mehr der Regelfall, denn auch die meisten Patriarchen sind froh, wenn sie nach einem erfüllten, aber häufig auch langem Arbeitsleben noch die Möglichkeit für private Aktivitäten haben, die während des Unternehmer-Lebens häufig zu kurz kamen.
Familienstrategie & Familienverfassung
Galt in der Vergangenheit noch häufig „beruflich Profi, privat Amateur“, so sind die meisten Unternehmer zunehmend offen, die Nachfolge professionell zu planen.
Grundsätzlich ist immer zu empfehlen, so wie es für das Unternehmen eine klare Unternehmensstrategie gibt, auch eine Inhaber-Strategie zu entwickeln und in der Familie festzulegen. In solch einer Familienstrategie regeln Sie grundlegende Themen, z.B. wer überhaupt zur Unternehmer-Familie gehört, welche (operative) Rolle die Familie im Unternehmen einnehmen will und eben auch einen verbindlichen Nachfolge-Zeitplan mit Ausstieg der Senioren sowie Einstieg der Junioren (bzw. der Übergabe an externe Geschäftsführer).
Die Familienverfassung selbst ist die schriftliche Ausformulierung der Familienstrategie, denn durch die Verschriftlichung entsteht Klarheit, Transparenz und v.a. Verbindlichkeit. Durch die gemeinsame Erarbeitung der Verfassung wissen alle Beteiligten, wie die Übergabe, der Zeitraum bis dahin und danach geplant ist.
Allerdings muss auch allen bewusst sein, dass eine Familienverfassung ein Dokument ist, welches, durch die gemeinsame Erarbeitung und Verabschiedung, zwar einen sehr hohen moralischen Wert hat, jedoch keine juristische Bindung. Diese würde erst durch konkrete Verträge (Schenkungsvertrag, Satzung etc.) eintreten.
Insofern kann es auch theoretisch sein, dass eine von beiden Seiten sich nicht an den Plan hält, z.B. der Senior, der nicht wie besprochen den „Platz frei macht“, oder der Nachfolger, der doch nicht wie zugesagt die Unternehmensführung übernimmt – und dann kommt sofort die Frage auf, welche Handlungsoptionen bleiben. Wenn dies passiert, empfehle ich immer zu verstehen, wieso der Plan nicht umgesetzt wird. So können z.B. die Gründe dafür, dass der „Senior noch an seinem Stuhl klebt“ vielfältig sein. Er traut es seinen Nachfolgern nicht zu, es gibt vielleicht finanzielle Engpässe, er hat Angst vor dem gesellschaftlichen Bedeutungsverlust oder er möchte schlicht und ergreifend einfach gerne noch arbeiten. Je nach Grund können die Nachfolger das Gespräch suchen und gemeinsam Wege finden.
Fazit
Erfolgreiches Loslassen ist eine Kunst. Aber mit der richtigen Vorbereitung, der Offenheit für neue Wege und ausreichend Zeit im Vorfeld ist auch diese anspruchsvolle Aufgabe zu meistern. Nutzen Sie den Raum der Möglichkeiten und vermeiden Sie Denkverbote, schieben Sie das Thema nicht auf, sondern gehen Sie es frühzeitig an – idealerweise mindestens sieben Jahre vor dem geplanten Ausstieg – weil Sie mit ausreichend zeitlichem Vorlauf viel mehr Optionen und auch weniger (emotionalen) Druck haben. Damit ermöglicht das Loslassen nicht nur die erfolgreiche Unternehmensübergabe, sondern auch der Startpunkt für einen neuen Lebensabschnitt.
Erschienen in: DIE NEWS 12/2025