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Blog-Artikel

Resilienz in Krisenzeiten

Entwicklung einer Unternehmenskompetenz

Lisa Ahrweiler-Weissman | Resilienz in Krisenzeiten
Lisa Ahrweiler-Weissman | Resilienz in Krisenzeiten

Themen in diesem Artikel

Resilienz war schon immer eine erstrebenswerte Fähigkeit. Mit den Widernissen des Lebens umzugehen, war immer schon eine Kernaufgabe der Menschen: Gladiatoren, Widerstandskämpfer, Überlebenskünstler, heute würde man vielleicht sogar Aktivisten hier benennen. Physikalisch bedeutet (lateinisch) „resilire“ zurückspringen, die Elastizität eines Körpers in einen Zustand zurückzubekommen. Psychologisch wird Resilienz als die Fähigkeit bezeichnet, Krisen zu bewältigen, Widerstandsfähigkeit entwickelt zu haben oder zu lernen, diese zu entwickeln.

Widernisse des Lebens – es ist spannend hier nach dem „richtigen“ neutralen und selbsterklärenden Begriff zu suchen ohne hier bereits eine Färbung, Bedeutung hineinzugeben wie es beispielsweise Herausforderung beinhaltet. Die Titulierungen, die wir heute in Verbindung mit Corona und vielen anderen Ereignissen 2020 bekommen bzw. selber versuchen zu finden, weisen auf eine ungeahnte Dimension der Widernisse hin: „die größte Krise seit Bestehen der Bundesrepublik“, Covid-19, eine Pandemie, die die gesamte Welt betrifft, in vielen Dimensionen.

Das macht etwas mit uns – mit jedem von uns. Wir alle durchleben einen fremdbestimmten Prozess. Fremdbestimmt ist dieser Prozess allein durch die genannten Ereignisse, sicher kommen in einzelnen Ländern, einzelnen Unternehmen, Familien etc. jeweils noch einige Faktoren dazu. Der Betroffenheitsgrad des Einzelnen ist dabei sehr unterschiedlich. Manche Branchen boomen, andere müssen sich die existenzielle Frage stellen. Beide Extreme sind anspruchsvoll.

Der Prozess, dem wir uns stellen müssen, beinhaltet folgende Phasen:

Phasenmodell

Phasenmodell nach Kübler-Ross

Das Phasenmodell wurde eigentlich durch Kübler-Ross (Kübler-Ross, Elisabeth: Über den Tod und das Leben danach, Silberschnur Verlag, 42. Auflage, 2015) als Verarbeitungsprozess mit dem Tod entwickelt, mittlerweile wurde es weiterentwickelt für den Change von Unternehmen wie im Wellenmodell von Dudley Linch / Paul Kordis (Lynch, Dudley; Kordis, Paul Delphinstrategien, Paidia Verlag, 1991).
Das Kernmodell hilft die aktuelle Situation zu betrachten.

Schock: Beobachten kann man, dass der Schock bis zur Starre, zur Paralyse geht (vgl. Eidenschink, Klaus: Ängste, Erläuterungen zu einem aktuellen Gefühl). „Manchmal wache ich auf, kneife mich und verstehe nicht, was passiert ist. Ich sitze immer noch auf dem gleichen Stuhl, trinke aus der gleichen Tasse, aber die Welt und mein Umfeld ist total auf den Kopf gestellt“. Die Informationsflut, die alle Nachrichten bestimmt hat, die überall von politischer Ebene – wenn man so will von „höchster“ Ebene – auf uns eingeprasselt ist, war schwer zu verdauen. Hier musste jeder Einzelne lernen, sich dem wieder zu entziehen. Jeder ist hier anders damit umgegangen und dies hatte bereits Auswirkungen im persönlichen Umfeld, wie Erfahrungen verschiedener Kunden und Coachees zeigen: „Mein Mann sitzt nur noch vor dem Fernseher und starrt auf die Nachrichten, ich kann ihn nicht erreichen“. „Ich glaube Corona ist erst der Anfang, wir werden es nicht schaffen, die Folgen in den Griff zu bekommen.“

Verneinung: Die wahrnehmbarste Auswirkung sehen wir durch die Verschwörungstheoretiker. Hier sieht man eine massive Leugnung der Situation: Covid-19 ist nur ein Grippevirus / die Grippe hat viel mehr Tote gekostet, Übernahme der Weltherrschaft durch Bill Gates um eine gewinnbringende weltweiter Impflicht einzuführen sind global verbreitete These der Verschwörungstheoretiker.

Widerstand: Widerstand, Zorn und Wut sind intensive Gefühle, die ihr Ventil brauchen. Dies lässt sich am einfachsten an der Schuldfrage aufzeigen: Donald Trump sprach nicht mehr von Covid-19, sondern vom Chinesen-Virus. Der Umgang mit diesen Gefühlen entlädt sich auch bei jedem einzelnen: innere Unruhe, Unkontrolliertheit, Aggressivität, Gewalt. So wurde im Shutdown oft über die Sorge von häuslicher Gewalt berichtet.

Anpassung: Ein Anpassen, eine wirkliche Annahme beginnt ab dem tiefsten Punkt, dem sog. Tal der Tränen, wenn man die Situation für sich selbst einordnen kann. Dies war die Phase, in der seitens der Politik eine Vielzahl an Instrumenten angeboten wurden: Kurzarbeitergeld, Steuerstundung, KfW-Kredite u.v.m. Unternehmer mussten und konnten hier sofort handeln.

Die Akzeptanz kann aber immer wieder zu „Rückwärtsschleifen“ führen. Nach wie vor ist nicht greifbar, wie weit die Tragweite der Pandemie sein wird. Es kann sein, dass erste Lösungen nicht tragfähig sind, also wieder ein Schock entsteht, individuell und mit unterschiedlicher Dimension: „Jetzt trägt mich noch das Kurzarbeitergeld. Aber unsere Branche ist so hart betroffen, dass wir auf jeden Fall mit Kündigungen rechnen müssen. Wenn die Branche sich nicht erholt, das scheint kurzfristig nicht der Fall zu sein, dann wird es schwer, einen neuen Job zu finden.“ Dies betrifft die gesamte Touristikbranche. Typischerweise sind klein- und mittelständisch geprägte Reisebüros in Kurzarbeit, wickeln die Masse an Corona-bedingten Stornierungen ab, merken, dass die weltweiten Lockerungen erst sehr langsam zu Reisetätigkeiten unter strengen Auflagen führen. Die Liquiditätslage ist extrem angespannt und kann vermutlich nur begrenzt durch staatliche Maßnahmen aufgefangen werden. Eine Erholung aus der jetzigen Lage wird Monate, vielleicht Jahre brauchen. Es wird mit einer Vielzahl an Insolvenzen gerechnet.

Die Akzeptanzphase ist m.E. eine Art Dauermodus. Es ist nicht klar, was alles zu berücksichtigen ist. Die wirtschaftlichen Auswirkungen auf der ganzen Welt sind erst bedingt greifbar. Unklar ist auch, wie sich die weltweite Pandemie weiterentwickelt. Bekommen wir weiter Pandemiewellen? Es wird immer wieder thematisiert. Der Einfluss wird jedoch bis auf die persönliche Ebenen auch in unserem Wohlstandsland zu spüren sein. Und das, obwohl wir rein von den Zahlen her im Vergleich zu anderen Ländern weniger hart betroffen sind.

Handeln im Commitment: Ins Handeln kommen, was heißt das eigentlich? Hier erkennt man besonders deutlich Persönlichkeiten mit ihren Antreibern, ihren Motivstrukturen, ihren Lebenserfahrungen: die Macher, die Zauderer, die Dauerläufer, die Sprinter, die (reinen) Denker, die Träumer, die Verzagten, die Verzweifelten, die Blockierer, die Vorreiter, die Zerstörer. In jedem Fall gibt es Auswirkungen des Handelns, die die Situation beeinflussen, verändern, bestimmen, vereinfachen oder verkomplizieren.

Risikofaktoren und Schutzfaktoren der Resilienz

Grundsätzlich sind zwei Bereiche anzuschauen, die die Resilienz beeinflussen und sich gegenseitig bedingen.

Risikofaktoren in diesem Kontext beeinflussen den Menschen von außen über das politische, wirtschaftliche, ökologische und geographische System, die unmittelbare Umgebung des Menschen, also die Organisation / Unternehmen, Familie und sozialer Kontext. Außen vor bleiben hier innere / persönliche Risikofaktoren wie z.B. genetischer oder gesundheitlicher Art.

Die Veränderungen, Dynamisierung und Tragweite von Covid-19 hat jeder von uns wahrnehmen (müssen). Im Ergebnis sind Risikofaktoren psychische Belastungen, die sich auf Dauer und ohne Schutz auf die Gesundheit auswirken. M.E. waren und sind Körper, Geist und Seele betroffen. Viele haben von Haarausfall, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit (oder Gegenteil) oder Konzentrationsproblemen, Stimmungsschwanken berichtet, um hier nur einige Beispiele zu benennen. In 2020 mit Risikofaktoren umgehen zu können, ist nochmal eine Verstärkung, vielleicht sogar eine Potenzierung unserer Risikofaktoren, vielleicht sehen wir uns sogar mit dem Wellenmodell immer wieder mit neuer, schneller Frequenz konfrontiert. Dazu kommt, dass jeder Mensch eine andere Wahrnehmung und Taktung hat: während der eine noch im Schockmodus hängt, ist der andere vielleicht bereits dabei seine Wut im Handeln herauszulassen. Diese unterschiedlichen Energien in Gruppen oder Teams überhaupt auszuhalten oder sogar zu führen ist anspruchsvoll, sehr dynamisch und eher ein Marathon als ein Sprint.

Neben der Berücksichtigung von Risikofaktoren ist es entscheidend für Resilienz, welche schützenden Faktoren da sind, um Krisensituationen zu durchleben. Hier ist viel geforscht und entwickelt worden. Es gibt eine ganze Reihe von Konzepten die hier individuelle, teambezogene, unternehmensbezogene Faktoren betrachten (vgl. u.a. BZgA: Resilienz und psychologische Schutzfaktoren im Erwachsenenalter, Band 43).

Kernelemente der Schutzfaktoren sind:

  • Ein Begreifen/ein Verstehen der Situation: etwas hat unwiderruflich wirklich stattgefunden. Ein Wünschen in die Vergangenheit ist legitim, wird vielfach gemacht, ändert aber nichts an der Gegenwart. Das Verstehen der Situation, der Gegenwart ermöglicht den Zugriff, Schritt für Schritt die Situation erschließen. Covid-19 ist ein bestimmendes Element unseres Alltags geworden. Kontaktsperre, Home-Office, Home-Schooling, Abstandregeln, Maskenpflicht etc. – wir haben in kürzester Zeit gelernt.
  • Ein Bewältigen / ein Handhaben der Situation zeigt auf, wie man mit der veränderten Situation umgehen kann. Was hilft konkret? Was sind die Handlungsoptionen? Welche Ressourcen stehen zur Verfügung? Viele haben sich regelrecht zu Hause eingeigelt, sind abgetaucht. Jede Menge Energie wurde in das häusliche Umfeld investiert. Kon-takt zur Außenwelt war zumindest für sehr viele über die digitale Verknüpfung möglich: arbeiten im Remote-Status war hilfreich und anstrengend. Eine besondere Herausforderung war die körperliche Distanz: „Nimm mich bitte in den Arm, das habe ich jetzt 6 Wochen nicht mehr gehabt“. Bemerkenswert ist, dass aber auch eine Art Umdenken begonnen hat: „Cool, ich komme eigentlich nur mit drei T-Shirts aus.“ Amazon & Co. haben bekanntlich deutlich profitiert – vielleicht aber nicht durch jeden und in dem kompensativen Maße wie es möglich gewesen sein könnte.
  • Die Sinnhaftigkeit des Lebens zu erkennen, an das Leben zu glauben, das Leben wertzuschätzen, die Bedeutung der Gesundheit zu spüren, die persönliche Stärke wahrzunehmen – das sind Kernthemen jedes Menschen und sichern seine Überlebenskraft. Das Wahrnehmen und Spüren des Lebenswillens in dieser Situation ermöglicht und schafft Zukunft: „Ich bin verletzlicher als ich dachte, aber stärker als ich es mir je vorstellen konnte.“

Inwieweit die erste große Welle im Sinne von Covid-19 und im Sinne der dadurch ausgelösten Welle der Veränderung auf allen Ebenen handhabbar wird, wird uns sicher alle weiter beschäftigen. Überlebensfähigkeit auf allen (System-) Ebenen weiter zu entwickeln mit Hilfe von Resilienz ist unser aller Kernaufgabe. Hier halte ich es mit Konfuzius:

Wenn wir Ordnung in der Welt schaffen wollen, müssen wir erst Ordnung im Staat schaffen. Wenn wir Ordnung im Staat schaffen wollen,müssen wir erst Ordnung in der Familie schaffen. Wenn wir Ordnung in der Familie schaffen wollen,müssen wir erst uns selbst verbessern.

Mit dieser philosophischen Grundansicht ist die lebenslange Entwicklung von Resilienz elementar für unsere ganz persönliche Überlebensfähigkeit.Ein pragmatischer und von jedem umsetzbarer Lernprozess ist „The road to resilience“:

  1. Bemühen Sie sich um soziale Kontakte
  2. Betrachten Sie Krisen als überwindbare Probleme
  3. Akzeptieren Sie, dass Veränderung Teil des Lebens ist
  4. Streben Sie danach, Ihre Ziele zu erreichen
  5. Entschließen Sie sich zum Handeln
  6. Suchen Sie nach Möglichkeiten, um „sich selbst zu finden“
  7. Fördern Sie ein positives Selbstbild
  8. Betrachten Sie Situationen nüchtern
  9. Behalten Sie eine optimistische Erwartungshaltung bei
  10. Sorgen Sie für sich selbst

Fazit

Aus der Arbeit im Personal Coaching weiß ich, wie schwierig eine solche Umsetzung sein kann. Gleichzeitig war in den letzten Jahren auffällig, wie instabil Menschen in Unternehmen waren. Eigentlich unverständlich im Rückblick: wir hatten eine lange Phase des gesellschaftlichen Wohlstandes und im Vergleich zu vielen anderen Nationen waren wir sicher lange sehr gut aufgestellt, die gesamte Gesellschaft hat profitiert. Wenn ich diese Erfahrung in diese Extremzeit Corona einbringe, ist zu überblicken: Wie geht es diesen Menschen jetzt? Können sie sich den enormen Herausforderungen 2020 stellen? Wo soll Resilienz herkommen? Wer hilft dabei, die Fähigkeit zur Resilienz zu entwickeln?

Hier ist jetzt die Chance der Unternehmen – und ganz besonders der Familienunternehmen. Hier gibt es eine Wertebasis, die die Herausforderung und die Möglichkeiten hat, Resilienz als Werteelement zu integrieren. Viele Unternehmen haben bereits einiges in Richtung Agilität gelernt und das kann jetzt weiterhelfen. In Unternehmen wird die meiste Zeit verbracht. Resilienz kann am Leichtesten in einem engen (persönlichen) Kontext entstehen. Es braucht einfach viel Beschäftigung, Auseinandersetzung, Reibung und Ermutigung, Neues erst bewusst zu machen, um es dann unbewusst integriert zu haben.

Gerade jetzt ist eine Achtsamkeit gefragt, sich selbst zu reflektieren: wo stehe ich im Corona -Change-Prozess, wo steht mein Team, was braucht der eine oder der andere? Wer schafft es wie, wieder einen klaren Kopf zu bekommen, wieder in aktives, konstruktives Handeln zu kommen? Wer kippt oder erholt sich sehr mühsam? Welche Geduld und Aufmerksamkeit braucht es jetzt zusätzlich und sicher immer wieder? Ja, auch diese Fragen sind bedeutsam neben den Fragen zur Unternehmenssicherung. Hoffentlich bekommen sie die gleiche Relevanz.

Wir werden noch intensiver in einen vertrauensvollen, offenen Umgang gehen (wollen und müssen) als wir es mit Hilfe der Agilität ansatzweise gelernt haben oder lernen. Wenn die Kompetenz Resilienz wirklich in Unternehmen gemeinsam entwickelt, tragfähig gemacht und weiter gehegt und gepflegt wird, ist dies eine neue Art der Schwarmintelligenz in Unternehmen, die wesentlich ist für die Überlebensfähigkeit. Zudem lässt sie sich dann in andere Bereiche / Systeme übertragen wie Familien, Schulen, Institutionen, Netzwerke u.v.m.

All das bedarf keiner großen Investition, trägt aber deutlich zur Entwicklung und Vernetzung von Wissen in Ihrem Unternehmen bei. Und tun Sie vor allen Dingen nicht das, was gut klingt, sondern das, was zu Ihrer Unternehmenskultur passt und in der Praxis gerne genutzt wird. Es mag zwischendurch der anstrengendere Weg sein, langfristig aber der erfolgreichere.

Autor

Lisa Ahrweiler-Weissman

Senior Projektleiterin
Lisa Ahrweiler-Weissman
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