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Blog-Artikel

Arbeiten auf Augenhöhe?

Skizzen einer Zusammenarbeit mit narzisstischen Vorgesetzten

Themen in diesem Artikel

Immer wieder und zunehmend häufiger begleite ich Menschen, die mit einem Menschen mit narzisstischen Zügen zusammenarbeiten. Diese Zusammenarbeit kann durchaus gut funktionieren, oft entwickelt sie sich jedoch unschön. Dieser praxisbasierte Artikel will über Interviews skizzieren, was einen Narzissten im beruflichen Kontext ausmacht, wodurch die Zusammenarbeit gekennzeichnet ist sowie wer die Zusammenarbeit leisten kann und wer nicht.

Wir befinden uns i.d.R. in dem Irrglauben, dass wir erfolgreich sind, wenn wir fachlich gut ausgebildet sind, über die wesentlichen Erfahrungen verfügen und gleichzeitig an unserer emotionalen Intelligenz gearbeitet haben. Damit meinen wir, eigentlich alles lösen zu können. Dahingegen lehrt uns auch unser Berufsalltag, dass es Menschen gibt, die uns an unsere Grenzen bringen. Die Zusammenarbeit mit diesen Menschen ist extrem anstrengend und raubt unfassbare Energie – manchmal mehr als die eigentliche Arbeit.

Die erste Begegnung und warum es zu einer Zusammenarbeit gekommen ist

„Er war sehr gewinnend, wortgewandt, charmant, charismatisch, zugewandt und kollegial. Er hat viele Fragen gestellt.“ „Er hat seine Vision vorgestellt, eine tolle Vision, die er gemeinsam mit mir erreichen wollte. Dabei hat er einen sehr guten Augenkontakt gehalten.“

Besser kann ein Beginn doch nicht sein, oder? Narzissten wissen sehr gut, wie sie andere für sich gewinnen können. Sie sind dabei sehr einfallreich und zuweilen hartnäckig. Sie lassen nicht locker, bis sie „gewonnen“ haben. Zudem verfügen sie oftmals über eine echte Strahlkraft, eine Ausstrahlung, die anzieht. „Seine Vision“ gibt weitere Hinweise: ein klarer Besitzanspruch, es ist nicht „unsere Unternehmensvision“. Der Augenkontakt zeigt einen gut erlernten sozialen Mechanismus: den Gesprächspartner im wahrsten Sinne des Wortes festhalten. Schon Babies lernen dies ganz früh, als Erwachsene nutzen wir es gern in Flirtsituationen.

Solange der Narzisst einen Menschen braucht bzw. einen Menschen haben will, setzt er viel Energie darein, diesen zu gewinnen. Als Betroffener genießt man natürlich das Gefühl einzigartig zu sein. Dies ist aber trügerisch und i.d.R. nicht echt. Der Narzisst verfolgt in dem Moment sein Ziel, einen Menschen zu gewinnen. Es ist das Ergebnis eines Machtspiels, dass er weiter nutzen kann. Hat er einen für sich gewonnen, ja vereinnahmt, beginnt die spezielle Form der Zusammenarbeit. Betroffene brauchen seine Aura und tun viel dafür, immer wieder in die Nähe zu kommen. Der Narzisst kann jetzt sehr viel Einsatz und Arbeitsleistung freiwillig bekommen.

Die Art der Eigenpräsentation eines Narzissten ist eine Art, sich zu zelebrieren

Äußerlichkeiten und Statussymbole sind wichtig: „teure Markenkleidung, gerne auch enge Hosen, besondere Autos und Luxus-Uhren, Luxusurlaube. Gerne zeigt man auch die schönen Fotos dazu.“ Extrem wichtig ist auch der Genuss: sehr gutes Essen und sehr guter Wein sind selbstverständlich. Bescheidenheit hat hier keinen Platz, im Gegenteil.
Und natürlich will auch die Männlichkeit einen besonderen Platz haben: „Immer wieder gab es Aussagen und Andeutungen zu Frauen und Liebschaften“. Dass das im Unternehmen und nicht in privater Runde passiert, muss nicht erwähnt werden.

In der Zusammenarbeit bekommt man viel, wenn man sich an die Grenzen hält

„Wenn man gleicher Meinung ist, bekommt man alles. Zuspruch und Lob unter vier Augen.“ „Sie geben dir das Gefühl: du bist etwas Besonderes.“ „Man hat einen interessanten Gesprächspartner, intelligent gebildet, breit interessiert. Bei gleichen Ansichten bekam man immer das Gefühl, du gehörst zu meiner Unternehmerfamilie, du bist voll akzeptiert.“ „Sie sind gut und für sich und andere anspruchsvoll – spornen einen enorm an.“

Der Begriff Menschenfänger trifft es gut: Betroffene lassen sich für den Narzissten begeistern, fühlen sich als etwas Besonderes, sind emotional „gefangen“, und können und wollen etwas leisten. Die oft vorhandene Kontrollsucht des Narzissten führt dazu, dass sein Gegenüber sich selbst viel abverlangt und versucht noch besser zu sein. Dies ist aber zum Scheitern verurteilt, weil man mit jemandem zusammenarbeitet, „der immer besser sein muss“.

Solange man seine Aufgaben macht, und „auf seinem angestammten Platz bleibt, ist die Zusammenarbeit sehr angenehm“. In diesem Rahmen darf man auch selbst entscheiden. Bei unwesentlichen Themen wird auch eine Meinung akzeptiert. Narzissten zeigen sich oft auch unberechenbar und zuweilen wankelmütig: „Besprochenes wird oft mehrmals revidiert bzw. umentschieden – je nachdem welcher Günstling seinen Input geliefert hat“.

Denken auf höchstem Niveau mit langfristiger strategischer Perspektive und hoher Komplexität beansprucht der Narzisst für sich. Die Selbsterhöhung ist typisch. „Anmerkungen zum höheren IQ, zu höheren Ausbildungsstufen“ werden sehr konkret und deutlich ausgesprochen.

Lernen aus Feedback ist eine Maxime, die jeder in Unternehmen kennt – Narzissten wenden diese Maxime für sich meist jedoch nicht an

Die Selbsterhöhung schließt gleichzeitig aus, dass Verbesserungen oder Kritik verstanden und angenommen werden. „Ich hatte Situationen, in denen ich anderer Meinung war, in denen ich dann angeschrien und persönlich angegriffen wurde. Ich saß mit Tränen in den Augen da. Er sagte dann, super Gespräch, müssen wir öfter machen.“ Der Narzisst ist aus seiner Sicht der Beste. Die Allwissenheit lässt eine sachliche Kritik automatisch nicht zu, sondern wird als persönlicher Angriff verstanden, daher geht ein Narzisst mit allen Mitteln in seine Verteidigung. Er kann es nicht zulassen, dass sein Eigenbild Schaden nimmt oder ins Wanken gerät. Damit ist auch klar, wie ein Narzisst Kritik übt: „sie ist nie sachlich, immer persönlich“.

Fehler macht ein Narzisst nicht, immer nur die anderen. „Ich habe es als zwanghafte, mit hohem Zeitaufwand verbundene Suche nach der Schuldfrage erlebt.“ Die Selbsterhöhung wird sogar dadurch befriedigt, dass Fehler unangemessen breit und vor nicht passendem Rahmen dargestellt werden. Das klassische i.d.R. sachliche Lernen aus Fehlern ist damit unmöglich. In der Konsequenz ziehen sich engagierte Mitarbeiter zurück.

Narzissten haben keine Empathie, weder für sich selbst noch für andere

Dies zeigt sich in unterschiedlichsten Situationen. „Sie haben keine Bodenhaftung und kein Gefühl für die ‚normalen‘ Mitarbeiter.“ „Der offen gezeigte Luxus macht hilflos und sprachlos. Warum muss ich mir solche Bilder anschauen, das werde ich mir nie leisten können.“ Dazu gehört auch, dass die Firma als die eigene empfunden wird. Auf Firmenkosten leistet man sich häufige und sehr großzügige Essen sowie andere Ausgaben. Bei den Mitarbeitern kann dafür man sparen, das Budget für Mitarbeiterveranstaltungen kann ja nach Belieben angepasst werden.Wenn Mitarbeiter sich außergewöhnlich anstrengen, z.B. nebenberuflich weiterbilden und zusätzlich ihre Familie managen, findet das keine Achtung oder Wertschätzung. „Erfolge werden klein geredet. Du kannst froh sein als Mutter ohne Abitur diese Weiterbildungschance bekommen zu haben.“

In persönlichen Gesprächen haben sie kein Nähe- und Distanzempfinden. Sie sind „touchy“. Verbale Verletzungen und Herabwürdigungen sind alltäglich – „Haben Sie heute Ihre Tage?“ Äußert man sich gar kritisch über Personen, die gerade hoch im Kurs stehen, werden sie richtig laut und ausfällig.

Sie selbst sind sehr empfindlich, wenn es um ihre eigenen Bedürfnisse und Befindlichkeiten geht. Diese zu bedienen und zu befriedigen ist elementar. Weil Narzissten dies selbst nur eingeschränkt können, brauchen sie sehr viel aus ihrem direktem Umfeld. Ihren Bedürfnissen ist unmittelbar und mit allen Möglichkeiten Folge zu leisten: der beste Platz mit der besten Aussicht, zeitlich nahezu unbeschränkte Verfügbarkeit der Mitarbeiter, Antworten auf Mails und WhatsApp-Nachrichten am besten zu jeder Tages- und Nachtzeit. Sie sind auch in extremen Situationen fordernd, „ausbeuterisch und rücksichtslos“: Für Krankheiten, Durchhänger, Leistungstief, Schwäche ist kein Platz. Sie werden sogar zur Demontage und Degradierung im Unternehmen aktiv genutzt.

Der Narzisst ist durchaus immer wieder in der Lage besondere Beziehungen zu einzelnen Menschen aufzubauen. Dies erfolgt klar nach seinen Bedürfnissen, eben wenn er es braucht und nutzen will. Dann betont er das besondere Vertrauen: „Du bist nicht nur Kollege, du bist mein Bruder, mein Freund.“ Die Zusammenarbeit wird dann intensiv über die Gefühlsebene geführt. Sachliche Themen werden dabei automatisch unwichtig – „in guten Phasen fühlt man sich Besonders. Die Aura strahlt positive Energie ab“.

Umgang mit Werten – arbeiten auf Augenhöhe

Ein Narzisst lebt Werte, es sind seine Werte. Zu vielen Themen hat er seine Meinung, seine Schubladen gebildet. Ein andere Perspektive braucht er nicht, in seiner Welt passt alles. Wenn im Unternehmen Werte erarbeitet und diskutiert werden, entzieht er sich. „In einer Wertediskussion hört er nicht zu, er braucht es für sich nicht, er will ja nichts verändern.“ Und wenn es darauf ankommt, „legt er die Werte nach seinem Gusto zurecht, für ihn gilt das dann eben nicht“.

Ein Arbeiten auf Augenhöhe funktioniert nur, wenn man der gleichen Meinung ist und die gleichen Interessen hat, die gleichen Ziele verfolgt. „Aber es ist keine ehrliche Augenhöhe, sie ist gespielt und wird großzügig erteilt, solange er seinen Nutzen hat und er seine Macht ausleben kann. Sie [seine Macht] ist latent immer da.“ Der Narzisst fragt und hinterfragt viel, kontrolliert viel und schafft dadurch automatisch eine Distanz, einen Abstand zu seiner Person. Er arbeitet konstant an seiner Unfehlbarkeit. Dies kann er vor allem ausleben, wenn er an der Unternehmensspitze ist. Ist dies (noch) nicht der Fall, ist der Narzisst „extrem zuvorkommend, höflich, fast schon schleimend. Zu unteren Hierarchiestufen ist er grandios abwertend, ignorant und sogar beleidigend“.

Erfolgreiche Zusammenarbeit ist möglich

Ein Narzisst ist selbst manipulierbar. „Im Kollegenkreis wird ausgetauscht, was funktioniert und was nicht. Er will nur, was in sein Weltbild passt. Man passt seine Story entsprechend an. Er denkt und agiert immer gleich.“ Narzissten beherrschen das Energie- und das Machtspiel. Sie geben gerne – solange sie etwas wollen. „Er hat alle meine Kontakte genutzt, dann bin ich regelrecht fallen gelassen worden.“ Dann nehmen sie Energie, sie sind regelrechte Energieräuber. Menschen, die empathisch sind, die Wertschätzung und Einbeziehung brauchen, die Wert auf eine stabile Vertrauensbeziehung legen, halten einen Narzissten auf Dauer nicht aus. Jemand, der sich ein- und unterordnen kann, der selbst gerne Menschen manipuliert und die Eigenschaften eines Narzissten für sich zu nutzen weiß, der sich gut auf sich zurückziehen kann und weniger empathisch ist, kann sehr gut damit leben.

Wenn ein Narzisst mit einem Menschen nicht mehr zusammenarbeiten will, kann seine ganze Kreativität wieder zum Tragen kommen. „Es sind Behauptungen aufgestellt worden, was ich alles falsch gemacht habe, welche Verfehlungen mir zuzuschreiben wären – das war unfassbar. Mein Ruf wurde systematisch ruiniert und ich hatte keine Chance, etwas zu klären.“ „Als er Herrn X loswerden wollte, hat er einfach jemanden zu ihm an den Schreibtisch gesetzt, der alles dokumentieren und kontrollieren musste.“ Solche Demontagen funktionieren gut und lassen keine Zweifel daran, dass die Ursache allein beim Mitarbeiter liegt. „Als mir klar wurde, was hier läuft wusste ich, dieser Chef kann nicht meiner bleiben. Ich will gehen.“

Was lernen wir daraus?

Neben den vielen fachlichen sachlichen Themen in Unternehmen ist ein achtsamer Blick auf die Menschen, die hier agieren, immer wieder notwendig. Wie frei bin ich in meiner Entwicklung, in meiner Entfaltung, in dem Nutzen meiner Fähigkeiten? Was genau sind meine Grenzen? Kann ich selbst an diesen arbeiten und etwas verändern oder bin ich durch mein Umfeld limitiert? Was sind das für Menschen, mit denen ich arbeite und für die ich arbeite?

Bedanken möchte ich mich bei meinen Coachees / Interviewpartnern, die ausgelöst durch meine Fragen nochmals in viele Situationen und Erlebnisse eingetaucht sind. Das Feedback war hierbei auch wieder bezeichnend: „Für mich war es nochmals gut, mich zu erinnern. Es hat mir sogar geholfen mit Abstand die Themen und Erlebnisse weiter zu verarbeiten. Das Gefühl meines Versagens löst sich weiter auf.“

Quellen:

  • Kleine psychoanalytische Charakterstudie, Karl König, 2010
  • Grundformen der Angst, Fritz Riemann, 2019
  • Verrückt nach mir, DIE ZEIT Therapeutin Elionor Greenberg im Interview von Heike Faller, 2019
Autor

Lisa Ahrweiler-Weissman

Senior Projektleiterin
Lisa Ahrweiler-Weissman
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