Im deutschen Sprachgebrauch finden wir den Wortteil „Wert“ in einer Vielzahl von Wörtern: wertvoll, liebenswert, preiswert, sehenswert sowie Wertschöpfung(-skette), Wertegesellschaft, Wertegemeinschaft. Durch die Wortver-knüpfungen entsteht eine Aufwertung – etwas wird kostbarer.
Werteentwicklung und Persönlichkeitsentwicklung
Werte entwickelt jeder von uns – nebenher im Alltag. Geprägt durch unser Umfeld erleben wir Werte. Manche übernehmen wir ungefragt, fühlen uns damit wohl und geben sie weiter. Andere irritieren uns, wir entwickeln bewusst eine Gegenposition und versuchen diese dann auch wieder zu leben. Und wollen dann sogar andere davon überzeugen. Typischerweise ist die Beschäftigung mit Werten eher etwas, das subtil im Hintergrund abläuft. Eine permanente Prägung unserer Persönlichkeit, unserer Charakterbildung findet so statt. Immer dann, wenn man sich bewusst damit beschäftigt, ist eine Veränderung möglich. Oder anders ausgedrückt, die Bildung und Entwicklung eines eigenen Charakters, einer eigenen Identität.
Jedes System hat eine Wertegrundlage, Mitglieder eines Systems sind damit Teil einer Wertegemeinschaft. Wertegemeinschaften präsentieren ihre Werte oft in Form von Zugehörigkeit und damit gleichzeitig als Abgrenzung: „wir sind Siemensianer“, „wir sind die Royals“, „in der katholischen Kirche gilt das Zölibat“.
Unternehmen als Wertegemeinschaft
Manche Unternehmen schaffen starke Wertegemeinschaften und eine starke Identifizierung mit dem Unternehmen, manche schaffen es nicht. Woran liegt das eigentlich? Will man einen Eindruck von Unternehmenswerten bekommen, klickt man am besten auf ihre Webseite. Diese zeigt auf, was Sinn und Zweck des Unternehmens ist und (hoffentlich) die Unternehmenswerte. Hier stößt man auf eine Vielzahl von Begriffen: Innovation, Qualität, Kundenzufriedenheit, Integrität, Umwelt, Verantwortung, Respekt, Nachhaltigkeit, Tradition, gesellschaftliche Verantwortung, persönliche Entwicklung etc. Eigentlich ist nichts dabei, was nicht erstrebenswert wäre. Erst wenn sich Werte im Handeln zeigen oder nicht zeigen, werden sie greifbarer. Jeder hat Situationen erlebt, die die Ambivalenz von Werten deutlich machen. Beispielhaft soll dies an den Werten Verantwortung und Nachhaltigkeit aufgezeigt werden.
Verantwortung: Für Erfolge Verantwortung zu übernehmen ist etwas Schönes, denn wer schmückt sich nicht gerne mit Erfolgen. Im Misserfolg bedeutet Verantwortung gänzlich etwas anderes, wenn Fehler passieren, vielleicht sogar Schaden entsteht. Wer dann die Verantwortung für sich, sein Team und sein Unternehmen übernimmt, hat Konsequenzen zu tragen, die unangenehm sind. Wird der Wert Verantwortung nicht gelebt, kommt es zu Ausweichstrategien: man sucht einen Schuldigen. In Unternehmen rollen dann im Extremfall Köpfe.
Nachhaltigkeit: Der Wert Nachhaltigkeit ist eher ein junger Be-griff, der eine hohen Dynamik in seiner Bedeu-tung erfährt. Mittlerweile wird er als politischer Wert mit Grundrechtcharakter diskutiert. In der Gesellschaft ist er nicht mehr wegzudenken – ob er im eigenen Unternehmen aktiv gelebt wird, kann jeder Mitarbeiter leicht überprüfen.
Die persönliche Bedeutung von Unternehmensleitbildern
„Wir gehen offen, ehrlich und respektvoll miteinander um“ – das klingt wirklich einladend. Wer würde nicht gerne in einem solchen Umfeld arbeiten? Aber was heißt es genau, offen, ehrlich und respektvoll zu sein? Jeder hat hier ganz eigene Vorstellungen und Erfahrungen gemacht und lebt sie entsprechend aus. Vielfach sind wir von unseren eigenen Wertevorstellungen so überzeugt, dass wir uns gar nicht vorstellen können und wollen, dass andere hier ein anderes Werte-Verständnis haben. In der Regel geht man sogar davon aus, dass die eigene Wertung allgemeine Gültigkeit besitzt. Entsprechend wird Energie eingesetzt, die Färbung / Gültigkeit im eigenen Umfeld durchzusetzen, so dass diese Wertebedeutung auf Dauer verankert ist und jeder sich danach richtet.
So ist es nicht verwunderlich, dass im Positiven wie im Negativen Werte persönliche Färbungen bekommen, je länger Führungs- und Teamstrukturen zusammenarbeiten. Und das wiederum heißt, dass Werteveränderungen viel Zeit brauchen: Zeit für Auseinandersetzung, für Diskussion, gemeinsames Hinterfragen und Entwickeln. Nur dann kann ein neues Verständnis, eine neue Färbung entwickelt und gelebt werden.
Werteetablierung und Werteveränderung
Werte entwickeln und verändern sich in einem permanenten Prozess mit unterschiedlichen Dynamiken. Es gibt unterschiedliche Werteträger, Unternehmen, Teams, Persönlichkeiten und auch diese verändern sich. Die Einflussmöglichkeiten sind entsprechend riesig oder sehr klein.
In Unternehmen ist zu klären, weshalb man sich mit dem Wertethema beschäftigen möchte. Gibt es eher kulturelle Wertethemen – d.h. man hat viele Konflikte in der Art und Weise der Zusammenarbeit – oder will man einen Wertewandel erreichen, der weit in das Geschäftsmodell, in die Unternehmensidentität hineingreift? Ein Beispiel für kulturelle Werte sind die Verhaltenswerte: Arbeiten auf Augenhöhe, Vertrauen, Miteinander; ein Beispiel für Unternehmenswerte ist der Wert Nachhaltigkeit, der für die Etablierung die Umsetzung eines strategischen Prozesses im gesamten Unternehmen benötigt.
Eine Beschäftigung mit Werten erfordert Veränderungsprozesse. Eine einmalige Erarbeitung oder Erklärung oder vielleicht nur eine Visualisierung durch die bekannten Wandposter ist bestenfalls ein erster Auslöser. Die eigentliche Arbeit geschieht in der Kommunikation, im Dialog, in der Diskussion, im Suchen und Finden von Positionen. Das kostet und gibt Energie; es ist eher ein Marathon als ein Sprint. Es erfordert immer Geduld in der Entwicklung und Geduld im Nachfassen.
Idealerweise sind es die Führungskräfte, die sich das Wertethema auf die Fahne schreiben und die sich dann auch diesem Wertemaßstab stellen müssen. Sie haben damit viel Eigenreflektion zu leisten, sind Vorbild und müssen sich dem Feedback stellen – eine echte Herausforderung.
Das Wertequadrat als pragmatisches Instrument
Das Wertequadrat von Schulz von Thun (auch bekannt als Werteentwicklungsquadrat) zeigt auf, dass hinter jedem positiven Wert in der Übertreibung eine negative Seite steht sowie hinter jedem negativen Wert in der Übertreibung eine positive Seite steht: Aus Sparsamkeit kann sich in der Übertreibung Geiz entwickeln. Sparsamkeit in Balance mit Großzügigkeit hilft, die Sparsamkeit nicht in die Übertreibung rutschen zu lassen. Die Gefahr für Großzügigkeit liegt in der Übertreibung in der Verschwendung.
D.h. die Werte Sparsamkeit und Großzügigkeit sind erst zusammen sinnvoll, wie zwei Seiten einer Medaille. Mit Hilfe dieser Art Werte-Deklinierung wird jeder Wert deutlich greifbarer, weil aus jedem Wertebegriff ein Verhalten definiert wird. Gleichzeitig wird deutlich, dass jeder situativ zu entscheiden hat, ob gerade „Sparsamkeit“ oder eher „Großzügigkeit“ sinnvoll und adäquat ist.
Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit
Im folgenden Praxisbeispiel wurden drei Werte ausgewählt: Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit. Zu jedem Werte wurden der positive Schwesternwert sowie die jeweilige entwertende Übertreibung definiert. Diese Diskussion ist wichtig, weil man in der Regel dem positiven Wert zustimmt; diesen wiederum sinnvoll abzugrenzen, ist herausfordernd. Hier hat es sich bewährt, in die Verhaltensebene zu gehen und in Adjektiven zu formulieren.