In Unternehmerfamilien treffen zwei Lebenswelten aufeinander: Familie und Firma. Und die funktionieren oft komplett unterschiedlich. In vielen Beratungsmandaten habe ich erlebt, dass genau dort, wo Bindung auf Effizienz trifft, das größte Entwicklungspotenzial schlummert – oder der nächste Flächenbrand lodert. Warum sind Konflikte unvermeidbar, warum ist das gut so und wie macht ein systematischer Umgang aus Reibung Energie?
Der älteste Familienkonflikt stammt von Kain und Abel aus dem Alten Testament. Rivalität gehört zum menschlichen Erbe. Soziale Konflikte sind kein Beweis für persönliche Fehltritte, sondern ein Hinweis auf nicht gelöste Erwartungs-, Rollen- oder Wertedifferenzen.
Zwei Welten, zwei Logiken: Besonderheiten in Unternehmerfamilien
Konflikte in Unternehmerfamilien sind häufig darauf zurückzuführen, dass zwei vollkommen unterschiedliche soziale Systeme – eine Familie und ein Unternehmen – eine gemeinsame Geschichte durchlaufen. Hierbei treffen zwei Welten mit verschiedenen Logiken, Spielregeln und Kommunikationssystemen aufeinander. Unternehmerfamilien bewegen sich in beiden Welten zugleich, ohne diese oft klar voneinander zu trennen. Entscheidend ist, ob ein Wort aus der Vater- oder aus der Geschäftsführer-Rolle fällt.
Die Familie folgt dem Familiendenken, d.h. man gehört qua Geburt oder durch starke Bindungsri-tuale (z.B. Heirat) dazu. In der Familie steht jeweils die ganze Person mit ihren Stärken und Schwächen im Mittelpunkt und die Gerechtigkeitserwartungen werden oft im Sinne der Gleichbehandlung von Mitgliedern verstanden. Die Kommunikation in der Familie läuft häufig mündlich oder wenig formalisiert ab und bezieht sich eher auf persönliche Bindungen.
Das Unternehmen hingegen folgt dem Unternehmensdenken. Im Gegensatz zur Familie ist die einzelne Person nicht im Fokus der Aufmerksamkeit, sondern die sachliche Funktion. Jedes Mitglied ist generell in seiner Rolle ersetzbar und Gerechtigkeit wird nicht über Gleichheit definiert, sondern über Leistung und materiellen Ausgleich.
In Familienunternehmen treffen beide Welten aufeinander – und dies führt oft zu typischen Szenen: In der Gesellschafterversammlung werden Urlaubsfotos gezeigt, am Weihnachtsbaum EBIT-Zahlen gewälzt. In solchen Situationen verschwimmt der Kontext und es wird schwierig zu unterscheiden, „wie“ denn gerade kommuniziert wird – eher aus der sachorientierten Unternehmenslogik oder aus der eher personenorientierten Familienlogik. Solche Überschneidungen vergrößern die Reibungsfläche – familiärer Streit schwappt ins Unternehmen, operative Konflikte spalten die Familie.
Was in einem System richtig ist, kann im anderen völlig falsch sein. Wenn eben nicht klar ist, ob gerade der Vater zum Sohn (Familienlogik), oder der Beiratsvorsitzende zum Familien-Geschäftsführer (Unternehmenslogik) spricht, kann dies zu folgenschweren Verwirrungen führen.
Wir sehen die Konsequenzen der Vermischung dieser beiden Welten regelmäßig in Nachfolgeprozessen: In der Logik der Familie sollen alle Nachfolger gerecht, d.h. gleichbehandelt werden. Diese Denke zeigt sich z.B. in dem Wunsch, allen Nachfolgern gleich viel Unternehmensanteile – unabhängig von deren Rolle im Unternehmen – zu übergeben. Im Unternehmenskontext und im Sinne der Entscheidungsfähigkeit des Unternehmens greift eine andere Logik: der Nachfolger, der sich am meisten um das Unternehmen verdient macht und operativ tätig sein möchte, soll mehr Anteile am Unternehmen bekommen, um handlungsfähig zu sein. Die Wahrscheinlichkeit, eine Lösung zu finden die gleichzeitig „richtig“ im Unternehmenskontext ist, und der familiären „Gerechtigkeit“ entspricht, ist sehr gering. Werden die unterschiedlichen Logiken nicht transparent gemacht, führen sie oft unvermeidlich zu Konflikten.
Das Familienunternehmen als Ort voller Emotionen
Konflikte in Familienunternehmen sind oft emotional aufgeladen und betreffen nicht nur die Sachebene, sondern auch persönliche Beziehungen, was zu heftigen negativen emotionalen Reaktionen führen kann. Wechselseitige tiefe Enttäuschungen, Kränkungen und Empörungen zeugen von tiefen Verletzungen auf Ebene der Werte, des Gerechtigkeitsempfindens, und dem verletzten Bedürfnis nach Zugehörigkeit.
Oft bringen Konflikte „Altlasten“ aus z.B. Geschwisterbeziehungen mit sich, die über Jahre mitgeführt worden sind und in Konflikten plötzlich „scharf geschaltet werden“. In einer unserer Begleitungen rutschen die Beteiligten – in diesem konkreten Fall zwei Brüder – innerhalb kürzester Zeit in eine Qualität der Auseinandersetzung, die an die Streitigkeiten „aus dem Sandkasten“ erinnern. So sind wir immer wieder Zeuge von Auseinandersetzungen zwischen einem erwachsenen Geschäftsführer und einem Gesellschafter, die im Unternehmenskontext ihre kindlich geprägten Animositäten unter Brüdern freien Lauf lassen – oft im Beisein von externen Führungskräften und Mitarbeitern. Das untergräbt nicht nur die Autorität und Glaubwürdigkeit der Beteiligten, sondern beschädigt auch die professionelle Kultur im Unternehmen und verunsichert Mitarbeitende wie Führungskräfte gleichermaßen. Vertrauen geht verloren – und damit ein wichtiger Grundpfeiler nachhaltiger Zusammenarbeit.
Generell sehen wir diese Art verhärteter emotionaler Konflikte oft bei Nachfolge-, bzw. Erbfolgeregelungen, Auseinandersetzungen um finanzielle Fragen, sowie bei der Festlegung von inner- und interfamiliären Grenzen (Stammesregelungen, Gremienbesetzung, etc.)
Konfliktbearbeitung und Interventionen
Was die Betroffenen tun sollten? Konflikte melden, dass etwas nicht passt. Alle Konflikte haben eine Funktion: sie lösen Entscheidungen aus, beenden Unsicherheiten, schaffen Klarheit, neue Ordnungen und treiben so Veränderung an. Bearbeitung bedeutet also nicht, Lärm zu vermeiden, sondern Unterschiede sichtbar zu machen, zu verhandeln, bestehende Muster zu unterbrechen und Konflikte damit zu regulieren. Ein falscher Konsens kann so schädlich sein wie ein Konflikt. Ein Konflikt kann so wichtig sein wie ein echter Konsens.
Je früher Konflikte erkannt werden, desto höher sind die Chancen, die Konfliktkommunikation zu beenden und in eine funktionale Kommunikation überzuführen.
Beispiel 1: Zwei Brüder – alte Wunden, neue Rollen
In einem Beispiel haben wir mit zwei Brüdern gearbeitet, beide Gesellschafter, einer aktiv im Unternehmen, der andere nicht. Die Gespräche im Beirat kippten regelmäßig – weil alte Streitigkeiten aus der Kindheit mitschwangen. Wir haben im Workshop und Einzelgesprächen ganz bewusst diese alten Muster angesprochen, Rollen geklärt und Kommunikationsregeln aufgestellt. Heute sprechen sie wieder auf Augenhöhe – nicht als Brüder, sondern als Partner.
Beispiel 2: Mutter und Sohn – Nachfolge auf Umwegen
In einem anderen Beispiel begleiten wir Mutter und Sohn. Der Sohn ist bereit für die Nachfolge, die Mutter kann aber nicht loslassen. Im gemeinsamen Coaching hat sich gezeigt: Ihr fiel es schwer, Verantwortung abzugeben, weil sie sich damit überflüssig fühlte. Statt den Übergang zu beschleunigen, haben wir gemeinsam überlegt, was sie zum Loslassen „braucht“ und welche Rolle sie künftig einnehmen kann. So wurde aus dem Machtkampf eine gemeinsame Lösung.
Diese Beispiele zeigen: Konflikte sind normal. Entscheidend ist, wie man mit ihnen umgeht – offen, ehrlich und mit einem klaren Rahmen. Genau dabei begleiten wir Unternehmerfamilien.
Was Konfliktbearbeitung nicht ist:
- eine vorschnelle Lösungsfindung mit dem Ziel von falscher Harmonie oder gar ei-nem visionären Frieden
- ein juristisches Regelwerk ohne Dialog
- eine einmalige Krisenintervention
Selbstreflexion und Bewusstsein als erster Schritt
Auch bei den Brüdern im Beirat sehen wir: Wenn alte Muster wirken, hilft keine Regel, solange diese Muster nicht gemeinsam reflektiert, die Kommunikationsebenen hinterfragt werden („Sprechen wir nun von Bruder zu Bruder oder von Gesellschafter zu Gesellschafter?“) und ehrlich über Rollen und Erwartungen gesprochen wird.
Konfliktregulierung erfordert ein hohes Maß an Empathie, Kommunikationsfähigkeit, sowie den Willen zur Selbstreflexion und Verzeihungskompetenz. Wer sich bewusst ist, dass er in negative Kommunikationsmuster verfällt und beginnt, den Kontext zu reflektieren, der neigt weniger zu emotionalen Kurzschlüssen und personenbezogenen Schuldzuweisungen.
Im Fall des Nachfolgekonflikts zwischen Mutter und Sohn haben Fragen wie "Welche Geschichte erzähle ich mir gerade?", "Worum geht es mir wirklich?" oder „Was würde sich für mich verändern, wenn ich loslasse?“ Abstand geschaffen und den Raum für eine tiefere Reflexion ermöglicht. Dies hat erstmal viel mit Arbeit an und mit sich selbst zu tun. Erst dann lohnt der Blick auf den Anderen.
Diese Art von Reflektion erfordert jedoch, Spannungssituationen auszuhalten und im Gespräch zu bleiben, ohne auf eine vorschnelle Lösung zu hoffen. Die Wertschätzung für den Widerspruch ist dabei die vielleicht wichtigste Fähigkeit.
Natürlich ist „Bewusstsein“ allein nicht immer ausreichend. Je nach Grad der bereits eingetretenen Eskalation können unterschiedliche Formen der Konfliktarbeit, mit oder ohne externe Hilfe, erforderlich sein. Doch kann erfahrungsgemäß die Reflektion der spezifischen Ausgangssituation in Familienunternehmen hilfreich sein, diese Schritte zu unterstützen. Wie beim Beispiel von Mutter und Sohn geht es oft darum, einander besser zu verstehen und zu „übersetzen“– nicht nur sachlich, sondern auch emotional.
Veränderung der eigenen Haltung
Die Bereitschaft, Konflikte zu beruhigen, setzt eine generelle Grundhaltung voraus: „Ich kann niemanden ändern als mich selbst – und das ist auch schon schwer genug.“
Auf Basis dieser – banal erscheinenden – Erkenntnis, kann man für sich selbst entscheiden, sich einem Verhalten entgegenzustellen, das man nicht mehr tolerieren will. Der Erfolg dabei ist nicht der wesentliche Faktor, sondern die Positionen: nicht Kontrolle des Anderen ist wichtig, sondern Selbstkontrolle. Nicht Veränderung des Verhaltens des Anderen, sondern Veränderung des eigenen Verhaltens. Daher läuft eine ehrliche Konfliktklärung eher selten auf schnelle Erfolge hinaus, sondern sie schafft Möglichkeiten, an sich zu arbeiten, um aus der eigenen Hilflosigkeit herauszutreten und langfristig eine Veränderung der Umgangs- und Kommunikationskultur mit dem anderen zu ermöglichen.
In beiden Fällen – ob Geschwister oder Generationen – war es entscheidend, dass sich alle Beteiligten noch auf einen gemeinsamen Weg einlassen und immer wieder an einen gemeinsamen Tisch zurückgeholt werden konnten. Dies benötigt erfahrungsgemäß Zeit und Geduld.
Wann hat Konfliktklärung eine Chance auf Erfolg?
Die Unternehmerfamilie ist und bleibt ein fragiles Gebilde. Daher ist es zum einen wichtig, als Unternehmerfamilie präventiv Spielregeln für den Umgang miteinander zu definieren (z.B. im Rahmen einer Familienstrategie). Zum anderen sollten Unternehmerfamilien regelmäßig daran arbeiten, entstehende Dynamiken frühzeitig zu verflüssigen, bevor sie erstarren und sich in Konfliktmustern festsetzen. Oft unterstützen wir die Betroffenen bei ihrer „Selbsthilfe“: sich immer wieder zu hinterfragen, was da eigentlich gerade mit ihnen geschieht, anstatt blind zu reagieren und sich immer wieder unreflektiert in die Dynamik hineinziehen zu lassen.
Die Beispiele zeigen: Wenn Konflikte früh erkannt und angesprochen werden, entsteht daraus echte Veränderung. Gerade bei den Brüdern, wo frühere Rollenmuster wieder aufbrechen, zeigt sich: Es braucht klare Absprachen und neue Kommunikationsregeln. Wie beim Mutter-Sohn-Beispiel kommt der Durchbruch oft erst, wenn Raum für neue Rollen geschaffen wird – statt an alten festzuhalten.
Sind die Fronten bereits verhärtet und der Konfliktfall zum Beispiel bereits vor Gericht, können die Gräben in diesem Stadium oft nicht mehr geschlossen werden. In diesen Fällen sollte man eher in Richtung möglicher Exit-Strategien gehen, anstatt eine quälende Konfliktlage weiter zu chronifizieren. In einer bereits stark eskalierten Situation ist es leider beinahe unmöglich, die Konfliktmuster zu durchbrechen.
Gesunde Streitkultur
Allen Negativ-Beispielen zum Trotz: Konflikte in Familienunternehmen sind keine Störung, sondern der Rohstoff für Weiterentwicklung. Unternehmerfamilien, die sich diesem Rohstoff stellen, gewinnen Klarheit, Entscheidungsfähigkeit und Zusammenhalt – und damit einen echten Wettbewerbsvorteil. Die Herausforderung liegt nicht im Erkennen der Konflikte, sondern im konsequenten und funktionalen Umgang damit. Genau hier entscheidet sich, ob der Streit zum Mühlstein wird – oder zum Motor für die Zukunft.
Unternehmerfamilien, die Konflikte sichtbar machen, Regeln definieren, dranbleiben und die Konflikte regulieren, bevor sie erstarren, sichern Innovationskraft, Zusammenhalt und Wettbewerbsfähigkeit – für Familie und Firma.
Konflikte in Unternehmerfamilien sind „nichts Besonderes“, sie kommen eben „in den besten Familien vor“. Starke Familien erkennt man nicht an der Harmonie – sondern an der Bereitschaft, sich ehrlich mit sich selbst auseinanderzusetzen.
Gekürzte Fassung erschienen in: DIE NEWS, 09/2025